Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Gute alte Zeiten?
Zwischen Revolution und Anpassung: 25 Jahre SchwuBiLe-Arbeit
Liebe Homolitoninnen und Homolitonen, liebe Bisexuelle, liebe Heterosexuelle!
Jubiläen sind ja immer eine feine Sache – und ein „SchwuBiLäum“ natürlich ganz besonders. Deswegen hatte ich mich sehr gefreut, dass es wieder was zu feiern gibt. Ich sollte dem SchwuBiLe-Referat einen 30-sekündigen Video-Gruß schicken. Nun arbeite ich aber beim Fernsehen und weiß: Damit so was richtig gut wird, ist ein hoher Aufwand nötig: Kameramann, Tonmensch, Licht, Regisseur, ein Autor, der den pfiffigen 30-Sekünder textet, ein toller Schauspieler, der mich authentisch darstellen kann und einen Cutter, der alles zusammenschneidet. Kurz und gut: Dazu hatte ich leider keine Zeit.
Aber da war noch eine Frage: 30 Sekunden für 25 Jahre? – Also 1,2 Sekunden pro Jahr? Das erschien mir doch ein bisschen wenig und auch gar nicht angemessen. Denn jedes SchwuBiLe-Jahr hat mehr als 1,2 Sekunden verdient. Deshalb habe ich um 600 Sekunden gebeten: Das ergibt dann wenigstens 24 Sekunden pro Jahr – die Begrüßung jetzt natürlich nicht mit eingerechnet.
Apropos Rechnen: Als ich vor ziemlich genau 15 Jahren 25 wurde, hatte ich es einfach: Ich konnte in meinen Personalausweis gucken und da stand genau drin, wann mein „Gründungstag“ war. Und als jetzt die Bundesrepublik 60 wurde, war dies auch nicht besonders schwierig festzustellen, weil das Gründungsdokument gut aufbewahrt wird. Aber man kann es auch im Brockhaus oder bei Wikipedia nachlesen.
Wie alt das SchwuBiLe genau ist, ist da schon etwas komplizierter! Von welchem Zeitpunkt rechnet man überhaupt: Wann wurde das SchwuBiLe geboren? War es am Tag der „Konstituierung der Schwulen- und Lesbengruppe an der Universität – Gesamthochschule Duisburg“ am 8. Juni 1983? Dann könnten wir in anderthalb Wochen schon den 26. Jahrestag begehen. Oder war es die „erste offizielle Vollversammlung nach Anerkennung durch den AStA“ am 27. April 1989? Dann wäre in diesem Jahr erst der 20. Geburtstag dran.
Unsere bisherigen Geburtstage haben wir übrigens immer im November gefeiert – zuletzt am 20. November 2003. Warum im November? Ich weiß es leider auch nicht.
Aber es zeigt, wie schnell Geschichte verloren geht, wenn man sie nicht aufschreibt. Heute kann es uns vielleicht egal sein, dass an diesem Donnerstag hier in Essen gefeiert wird. In 20 Jahren kann das schon ganz anders sein. Denn dann wird in der Rückschau vielleicht klar, dass dieses Jubiläum nicht einfach nur am 28. Mai 2009 begangen wurde; möglicherweise war es ja das letzte, das überhaupt gefeiert werden konnte? Ich will es nicht hoffen!
Um sich heute klar zu machen, warum das Aufschreiben – auch von eher belanglosen Daten – sinnvoll ist, lohnt ein Blick zurück: Nehmen wir mal an, das SchwuBiLe gibt es seit dem 8. Juni 1983. Wie sah es denn zu dieser Zeit in unserer Republik aus? Das kann man heute alles nachlesen, weil es jemand aufgeschrieben hat:
Seit Oktober 1982 regierte Helmut Kohl, der die geistig-moralische Wende wollte. Und die Grünen schafften im März 1983 den Sprung in den Bundestag. Auf den ersten „offen schwulen“ Bundestagsabgeordneten mussten wir da noch zwei Jahre warten. Seinen Namen kennt heute kaum noch jemand: Herbert Rusche hieß der und rückte 1985 für einen gewissen Joseph Fischer in den Bundestag nach, der schließlich 1998 zum Vizekanzler und Außenminister ernannt wurde.
Noch zwei Tage vor der Gruppengründung titelte der SPIEGEL: „Tödliche Seuche AIDS – Die rätselhafte Krankheit“. Was viele vielleicht nicht oder nicht mehr wissen: Der SPIEGEL war in der Frage Aids alles andere als ein liberales Magazin: Erwin In het Panhuis vom „Centrum Schwule Geschichte“ beschrieb es in einem Vortrag an der Duisburger Uni so:
„Von 1982 bis Ende der 1980er-Jahre betreibt der Spiegel eine Schwulenhetze, die als rechts von der CSU bezeichnet werden kann.“
Damals schlug ein Peter Gauweiler vor, alle HIV-Positiven zu internieren. Die gerade erkämpften kleineren Freiheiten der Schwulen waren mit einem Schlag wieder bedroht – und zwar massiv.
Und in diesem Klima bildet sich nun an der kleinen Duisburger Gesamthochschule eine Schwulen- und Lesbengruppe. Wohlgemerkt: Der Aufruf stand nicht in der Lokalpresse. Und eine Schwulen-Presse, wie wir sie heute kennen, gab es nicht. Und das World Wide Web wird erst zehn Jahre später so einiges verändern …
Und trotzdem – oder gerade deswegen – kamen dann zehn Lesben und Schwule zur Duisburger Uni-Gruppe – zwei Jahre, nachdem an der Freien Universität Berlin das erste Schwulenreferat der Republik gegründet wurde.
Diese Anfangszeit war schon abenteuerlich. Ich kann mich noch gut an die Erzählungen von Reinhard Heikamp und Wulf Thomas erinnern: Damals riss der Hausmeister im Auftrag des Kanzlers regelmäßig die Aushänge der Schwulen- und Lesbengruppe ab. Logische Konsequenz: Es musste ein „Rosa Brett“ her – und damit gab es den ersten offiziellen Kontakt der Schwulen- und Lesbengruppe mit der Hochschulleitung: ein Antrag auf Einrichtung eines Rosa Brettes. Das Antwortschreiben ging dann so:
„Bei Entsprechung Ihres Antrages müssten danach auch andere Interessengruppen, z.B. Briefmarkensammler, anerkannt werden, die es auch außerhalb der Hochschule gibt. Dies kann aber nicht Sinn des Anerkennungsverfahrens sein, da keine speziellen studentischen Belange berührt werden.“
Etwas besser sah es da unter den politischen Gruppierungen aus, die zur StuPa-Wahl 1985 antraten: Bis auf den RCDS sprachen sich alle Gruppen für die Einrichtung eines Schwulen- und Lesbenreferates aus. Der RCDS übernahm sogar Teile aus dem Ablehnungsbrief des Kanzlers:
„Es ist uns klar, dass Schwule und Lesben aufgrund eines biologischen Irrtums der Natur mit ihrer Umwelt Probleme haben, und öffentliche Aufklärungsarbeit ist in unserer Demokratie noch nie verboten gewesen, aber die Anerkennung der Homosexuellen als Hochschulgruppe sollte ausbleiben. Denn dann kommen demnächst noch die Briefmarkensammler und die Anglerfreunde.“
Heute kann man kann über solche Zitate schmunzeln. Selbst der RCDS würde sich heute wahrscheinlich nicht mehr so ausdrücken. Doch heißt das auch, dass die Situation von Lesben und Schwulen besser geworden ist?
Da sage ich absolut und uneingeschränkt: Ja! Und trotzdem dann ein „Aber!“. Denn wenn es um die Akzeptanz von Lesben und Schwulen geht, bleibt immer noch viel zu tun. Und das Schlimme ist: Das muss jede Generation wieder aufs Neue tun – und zwar selbst! Wir machen unseren Nachwuchs ja in der Regel nicht persönlich, sondern bedienen uns da unserer heterosexuellen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Dafür sollten wir ihnen zutiefst dankbar sein!
Aber die Tatsache, dass die meisten Eltern heterosexuell veranlagt sind, macht auch schon das Problem deutlich: Die Kinder wachsen zumeist in einer heterosexuellen Umgebung auf. Oder wie man es im Wissenschaftsbetrieb ausdrücken würde: Die Gesellschaft ist heteronormativ.
Und bei den wenigen lesbisch-schwulen Eltern entwickeln sich die Kinder meist auch noch heterosexuell! Da ist also nichts zu holen – außer vielleicht einen offenen Umgang mit der Thematik, was ja schon mal eine gute Grundlage ist.
Also noch mal: Wie weit sind wir? Dazu nur zwei Gedanken:
1.) Schönes Beispiel: Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass..?“. Wenn der mit jungen männlichen Wett-Kandidaten nach der Wette noch etwas plaudern will, dann fragt er sie meist, ob sie eine Freundin haben – oder ob sie mal zu „Paris Hilton“ aufs Sofa klettern möchten. Ich bin gespannt, wann der erste Kandidat sagen wird: „Ich bin schwul und möchte lieber zu Brad Pitt auf den Schoß!“
2.) Oder macht ein Experiment – es reicht sogar, dies nur in Gedanken zu tun: Stellt euch zwei Jungs auf einem Schulhof vor, die sich in der großen Pause küssen … Wer in der vergangenen Woche das WDR-Magazin „West.Art“ gesehen hat, weiß, was ich meine. Denn die haben genau dieses Experiment gemacht. Wahrscheinlich habt ihr genug Fantasie oder gar eigene Erfahrungen, um es euch selbst vorzustellen, was da abgegangen ist.
Lesben und Schwule haben also nicht so viel erreicht, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte.
Manche sagen: Die Streichung des Paragrafen 175 war ein großer Erfolg. Doch die Streichung wurde erkauft durch eine Verschärfung des Paragrafen 182: Demnach begibt sich in juristische Grauzonen, wer zum Beispiel als 18-Jähriger Sex mit einem 17-Jährigen hat – egal ob homo oder hetero! Und rein juristisch ging es bei der Abschaffung des Paragrafen 175 vor allen Dingen um die Rechtsangleichung mit der Gesetzeslage in der früheren DDR.
Manche führen die sogenannte Homo-Ehe als Errungenschaft auf. Sicherlich: Für einzelne Paare mag das seit dem 1. August 2001 gültige „Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft“ eine gute Sache sein. Aber eine Zumutung ist es allemal, sich als Homosexueller einem Sondergesetz unterwerfen zu müssen, wenn man denn nun unbedingt heiraten beziehungsweise sich verpartnern lassen will.
Es werden Gesetze erlassen, die niemand braucht. Dabei wäre es doch so einfach: Ehe und Ehegattensplitting abschaffen! Familie ist dort, wo Kinder erzogen werden. Und wer einen „Schein“ braucht, vereinbart so was wie den „PACS“ in Frankreich, den „Zivilen Solidaritätspakt“, bei dem sich zwei Menschen zu gegenseitiger Hilfe verpflichten.
Meinetwegen sollen sie auch heiraten dürfen.
Warum erzähle ich das hier alles eigentlich? Das mag sich mancher fragen, wo es doch heute um „25 – oder 26 – Jahre SchwuBiLe“ geht. Nun – aus einem ganz einfachen Grund: Ich bin fest davon überzeugt, dass es genau solche Themen sind, über die es sich lohnt, nachzudenken und zu streiten – und zwar vor großem Publikum; denn Aufklärung tut auch in 2009 Not!
Schauen wir doch noch mal in die Geschichte des SchwuBiLes! Was gab es vor einigen Jahren für Veranstaltungen?
Ich möchte aus dem riesigen Angebot vor allen Dingen eine Form hervorheben: unsere Podiumsdiskussionen. Wenn man Menschen mit unterschiedlicher Meinung aufeinander loslässt – gelenkt und im Zaum gehalten durch einen Moderator – ist das im besten Sinne bildend und dabei auch noch ziemlich unterhaltsam. Als ich im vergangenen Jahrtausend in den 1990er-Jahren SchwuBiLe-Referent war, hatten wir zum Beispiel diese Themen:
- Drei Jahre ohne – was macht die Schwulenbewegung ohne den §175?
- Wehe wem Ehe gebührt, oder: Wie pervers ist Monogamie?
- Die Linke und das Laster, oder: Müssen Schwule links sein?
- Homosexualität und Kirche – Geht das überhaupt?
Neben diesen inhaltsschweren Veranstaltungen gab es natürlich mindestens genauso viele – um ehrlich zu sein: sogar deutlich mehr – Veranstaltungen der üblichen Sorte: Lesungen, Filmvorführungen, das wöchentliche SchwuBiLe-Café und natürlich die legendären Sektempfänge. Und das war auch gut so!
Eine Grundgedanke zeichnete die frühere Arbeit des SchwuBiles aus, die heute – soweit ich das mitbekomme – völlig eingeschlafen ist: das Vernetzen mit anderen Gruppen. Damit meine ich nicht in erste Linie die Vernetzung der Referate untereinander oder mit Schwulengruppen in Duisburg oder Essen, sondern die Vernetzung mit lokalen Gruppen vor Ort: Ob nun Amnesty international, Antifa, JungdemokratInnen, das whk oder progressive Listen im StuPa. Wer nicht nur das eigene Süppchen kocht, hat mehr Abwechslung beim Essen … Mal ganz abgesehen davon, dass es ziemlich viel Spaß machen kann, mit Heteros zusammenzuarbeiten.
Und welche Veranstaltungen gibt es heute im SchwuBiLe? Schauen wir ins aktuelle Programm:
- Erstsemesterfrühstück und Sektempfang: sehr wichtige Veranstaltungen!
- Filmabend „Shortbus“: sehr guter Film!
- Vorsicht Falle! – die häufigsten Fehlsch(l)üsse beim Sex
- Grand-Prix-Party
- „Kuss der Spinnenfrau“ – Musicalbesuch & Darstellertreff
Nun, ich glaube es wird klar, worauf ich hinauswill: Fun-Angebote sind gut und wichtig. Niedrigschwellige Angebote ebenfalls – und Safer-Sex-Übungen meinetwegen auch. Aber die würde eine lesbisch-schwule Selbsthilfegruppe an der Uni auch auf die Beine stellen können. Bei mir bleibt ein sehr schaler Beigeschmack, wenn ich an einem Ort wie der Universität ein Autonomes Referat habe, das vor allen Dingen Service-Veranstaltungen anbietet.
Sicherlich. Es ist wie beim Fernsehen: Die Quote muss natürlich stimmen. Aber bitte: Seid nicht Privat-Fernsehen, sondern lieber ein bisschen öffentlich-rechtlicher Rundfunk – gut gemachter natürlich! Da gehören gewisse Sendungen zur Grundversorgung dazu – ganz ohne Quotenzwang! Und manchmal wundert man sich dann, wie viele Menschen trotzdem zugucken oder aber – bezogen auf die Uni – zu solchen Veranstaltungen kommen.
Und viele Themen liegen auf der Hand!
Ich will nur zwei aktuelle Beispiele nennen:
- Eure Grand-Prix-Party hätte man auch zu einer politischen Stellungnahme nutzen können; im einfachsten Falle per Pressemitteilung die Solidarität mit den russischen Lesben und Schwulen erklären. Oder die in Massen angereisten homosexuellen Fans und Journalisten auffordern, die russischen AktivistInnen aktiv zu unterstützen, statt nur zu kuschen, wie es in diesem Jahr geschehen ist. Das unterstützt im besten Fall natürlich die Bewegung in Moskau – aber es führt auch bei den Leuten hier, die sich damit beschäftigen, zu einer aktiveren politischen Haltung.
- Gerade zu Ende gegangen ist der „6. Internationale Kongress für Psychotherapie und Seelsorge“ an der Uni Marburg. Die Veranstalter kann man wohl als christliche Fundamentalisten bezeichnen. Warum nicht einmal solch ein Vorkommnis als Aufhänger nehmen, um über christlichen Fundamentalismus zu reden?
Und wäre es nicht interessant zu fragen, warum immer noch so viele Homosexuelle in der Kirche anerkannt werden wollen; insbesondere bei der katholischen, in der sie von der offiziellen Verlautbarung so sehr gehasst werden, wenn sie ihrem Sexualtrieb nachgehen?
Und darf man an einer Universität nicht auch mal die Frage stellen, warum Kirche überhaupt so einen hohen Stellenwert hat, obwohl es einen Gott allem wissenschaftlichen Verständnis nach gar nicht gibt? Wäre eine von Humanismus und Aufklärung geprägte Gesellschaft nicht die bessere Alternative?
Früher musste das SchwuBiLe in jeder Legislaturperiode darum kämpfen, nicht vom AStA abgeschafft zu werden. Oder es drohten Etatkürzungen. Natürlich war das nervenaufreibend, aber es hat auch angespornt. Uns war nicht egal, wenn die StuPa-Wahlen zu einem Rechts-AStA geführt haben. Allerdings hat uns der Kampf um den Erhalt des SchwuBiLe auch ganz schön viel Zeit gekostet. Die habt ihr jetzt gewonnen!
Im Moment ist das SchwuBiLe doch in einer recht komfortablen Position: Es geht augenscheinlich nicht mehr ums Überleben. Nutzt diese gewonnene Zeit wieder für politische Arbeit. Fangt nicht an, bequem zu werden oder euch anzupassen. Denn damit könntet ihr euch auch überflüssig machen.
Bringt doch zwischendurch ein bisschen „revolutionäres Gedankengut“ unter das Studierendenvolk.
Probiert mal wieder aus, unbequem zu sein!
Der Wind, der euch dann entgegenweht, kann auch beflügeln!
Ich freue mich jetzt schon auf die Feiern zum 30-jährigen SchwuBiLäum – und ein Thema für eine Festrede hätte ich auch schon!
Rede gehalten am 28. Mai 2009 von Axel auf dem Jubiläums-Empfang
„25 Jahre SchwuBiLe“ in der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen (Glaspavillon)